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Ernst Kraft Fürst zu Oettingen-Wallerstein (1748-1802) 

Besprechung zur Biographie eines süddeutschen Duodezfürsten

Er war keiner der großen Fürsten, sondern Vorsteher einer der kleinsten Duodezfürstentümer im „deutschen Flickenteppich“, Herr über einige tausend Untertanen in einem zerrissenen Herrschaftsgebiet, welches sich die gefürsteten Grafen v.Oettingen im heutigen baden-württembergischen und bayerischen Raum geschaffen hatten. Bisweilen muten die einzelnen Oettingenschen Fürstentümer, die durch Teilung und also Uneinigkeit der Erben im XV. und XVI. Jahrhundert entstanden waren, an wie jene kleinen Fürsten, die dem Sonnenkönig nacheiferten, wie „kleine Sonnenkönige“ an, die hofften, sich einen Abglanz von Hochherrschaftlichkeit zu eigen machen zu können. Die Unterhaltung eines eigenen und namentlich verschwenderisch ausgestatteten Hofstaates um eine mehr oder minder große Residenz, der auf die Erlangung von Prestige und in Konkurrenz zu anderen Kleinfürsten ausgelegt war, häufte deshalb ungehemmt Schulden an. Eine solche „Residenz“ als „Königreich im Kleinen“ wurde Schloß Wallerstein, das für die entsprechend hier zu besprechende Linie maßgebliche Zentrum der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Tätigkeit. Seit dem XIII. Jahrhundert war der Ort in Familienbesitz, wurde nach und nach zu einer herrschaftlichen Residenz ausgebaut und präsentiert sich heute, als Besitz der Familie mit den Nachnamen „Fürst zu Oettingen-Wallerstein“, in einer Form des frühen XIX. Jahrhunderts. [1]

Das Territorium Oettingen-Wallerstein wurde 1522 durch Teilung als Grafschaft geschaffen, 1774 gefürstet und löste sich mit dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803 auf; [2] seit dieser Zeit ist die Familie nicht mehr regierend, sondern nur noch ein Titularfürstentum gewesen, welches bis heute gleichwohl viel Einfluß im schwäbischen Landkreis Donau-Ries besaß. Mit diesen Daten ist die Geschichte des Duodezfürstentums grob umrissen und in diese Zeit fällt auch die Biographie des letzten Fürsten Kraft Ernst zu Oettingen-Wallerstein (1748-1802), eines Kleinherrschers und Regierenden in einer Umbruchs- und Schwellenzeit, zwischen Absolutismus und Aufklärung, zwischen Selbsterhebung und Untertanenfürsorge, zwischen äußerer ökonomischer Verschwendung  und innerer Verschuldung, zwischen patriarchalischem Hoftstaat und den Ideen des Kameralismus.  

1768 bis 1772 reiste Kraft Ernst durch Europa auf seiner Peregrination, die ihm die weltmännische Bildung und die personalen Netzwerke verschaffen sollte, die für eine spätere Regierung eines aufstrebenden Grafschaft nötig waren. [3] Die Peregrination kann dabei als sich ablösende Bildungsform der Eliten der Frühen Neuzeit verstanden werden, der später die gänzliche Professionalisierung auf Hochschulen und Akademien folgte. Gleichwohl war Kraft ernst auch auf der Institution der Universität gebildet worden: Er studierte in Straßburg und Göttingen die Rechte, Geschichte, Statistik, Naturrecht und Musik. Insofern ist Kraft Ernst als ein Schwellenadeliger zu verstehen, sowohl gebildet nach dem alten Grundsatz der Aneignung von Manieren und Umgangsformen, aber auch gebildet nach dem Muster der wissenschaftlichen Ausbildung auf der Höhe der Zeit. 

In seiner Zeit als regierender Fürst eines Kleinstterritoriums kaufte er wertvolle deutsche Handschriften, ließ sie in eigenen Einband mit seinen Initialen binden und setzt sich damit in eine wissenschaftsgeschichtliche Tradition, die in dem Aufbau einer bedeutenden Bibliothek mit vergangenem Wissen münden sollte. [4] Er erteilte großzügige Judenschutzbriefe [5] zur Hebung des wirtschaftlichen Handels im Fürstentum, er bestellte landwirtschaftliche Sachverständige nichtadeliger Herkunft [6] zur Professionalisierung der Agrarwirtschaft, er ließ seine leitenden Forstbeamten im deutschen Ausland bei Koryphäen ihres Faches professionell ausbilden [7], er installierte eine weit über die Grenzen seines Fürstentums hinaus berühmte Hofkapelle, [8] ließ aber zugleich allzu aufklärerische Autoren mit einer strengen Auffassung von Zensur verhaften und ins Gefängnis werfen. [9] Diese Beispiele zeigen bereits, daß Kraft Ernst das Projekt der Aufklärung und des Kameralismus sowohl befördert als auch gehemmt wurde, was nicht zuletzt auch durch die Umstände external attribuiert werden kann. Denn infolge der territorialen Zersplitterung ergab sich rein pragmatisch kein geschlossenes Herrschaftsgebiet. [10]

Brill hat die Lebenslinien von Kraft Ernst gekonnt und liebevoll chronologisch aufsteigend nachgezeichnet. Ihr leitendes Erkenntnisinteresse war es, herauszufinden, ob Kraft ernst eher ein Vertreter der tradierten oder mehr der modernen Kultur gewesen ist. Ihr abschließendes Urteil zur Fragestellung Aufklärer oder Absolutist? lautet, daß er beides zugleich war und damit ein typischer Liminalitätsvertreter. Für ihn mag auch heute noch gelten, was im Jahre 1840 ein anonymer Autor über ihn schrieb. Demnach war Kraft Ernst „ein Mann von alt-ritterlicher Biederkeit, hervorragenden Geistesgaben und ausgebreitetem Wissen, suchte seine, zumal durch einen länger[e]n Aufenthalt in England gewonnenen national-ökonomischen Grundsätze und seine Ansichten von einer freien Entwickelung der Regierungsformen bei der Verwaltung seines kleinen Staats m Anwendung zu bringen. Noch jetzt lebt sein Andenken bei seinen Unterthanen fort ...  Überdies ärntete der wackere ...  Fürst Kraft Ernst, nach außen auf kräftigen Widerstand gegen fremdes Übergewicht und auf zeitgemäße Verjüngung der Reichsverfassung, nach innen auf Ablösung der Feudallasten, auf Umwandlung des getheilten in gegenseitig freies Landeigenthum, wie auf materiellen sowohl, als geistigen Aufschwung hinarbeitend und in seiner Eigenschaft als Vorstand des schwäbischen Grafencollegiums unmittelbarer als die meisten seiner Mitstände in die öffentlichen Angelegenheiten verwickelt, Bitterkeiten von den Freunden des Alten, wie des Neuen, bis zuletzt sein staatsrechtlich beinahe geschlossenes Hoheitsgebiet zerstückelt wurde, weil er sich weigerte, für die verlorenen überrheinischen Besitzungen auf Kosten seiner Mitstände Entgeltung zu suchen.“ [11]

Erschienen ist der Band bei der Akademischen Verlagsgemeinschaft in München 2012, auch wenn es sich nicht um eine klassische akademische Qualifizierungsarbeit handelt (da die Verfasserin bereits promoviert ist). Das tut aber dem Lesevergnügen keinen Abbruch, der hauptsächlich dann entsteht, wenn man sich auf eine Biographieschilderung ohne Anwendung von Theorien und Modelle einläßt und die Lektüre nicht zum wissenschaftlichen Gebrauch, sondern als Freizeitvergnügen besieht. Das heißt aber nicht, daß Brill nicht auch kritisch mit ihrem Untersuchungsgegenstand umgeht: Sie verweist beispielsweise auf die fürstliche Verschwendung am Hof ebenso wie auf den ökonomisch mangelhaften Zustand der Armen im Fürstentum. 

Der gediegen kartonierte Band mit farbigem Buchdeckel hat 124 Seiten, kostet 34,90 Euro, wird aber leider nicht auf der Webseite im Gesamtprogramm des bayerischen Verlages der Allgemeinen Verlagsgemeinschaft München (www.avm-verlag.de) angezeigt. Das Gesamtprogramm des offensichtlich seit 2008 tätigen Verlages kann man aber rekonstruieren über den Gemeinsamen Bibliotheksverbund der norddeutschen Länder (www.gbv.de), in dessen Katalog derzeit rund 450 Titel verzeichnet. Dennoch: Ein Gesamtverzeichnis, wie es bei anderen Verlagen ganz üblich ist, wäre auch hier gewiß im Sinne der Kunden, denn auf die jetzige Weise erscheint die Verlagsseite mehr als ein reines Dienstleistungsangebot für wissenschaftliche Nischenautorinnen und -autoren.

Die vorliegende Besprechung stammt von Claus Heinrich Bill und erschien zuerst in Folge 75 vom Februar 2013 in der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XVI., Sonderburg 2013.

Annotationen:

  • [1] =  Gleichwohl versteht sich die Familie recht selbstbewußt selbst noch heute „als fürstliche Familie“, wie ihrer Weltnetzseite zu entnehmen ist (http://www.fuerst-wallerstein.de), auch wenn es sich nicht um eine „fürstliche“ Familie handelt, da seit 1919 in der BRD die ehemaligen Adelstitel Namensbestandteil geworden sind. Dieser Umstand wird häufig genug noch verwechselt. Die Verfasserin der Biographie von Kraft Ernst versteht die Familie indes offensichtlich auch noch als „fürstlich“, da sie sogar die (veraltete) Anrede „Seine Durchlaucht“ in ihrem Vorwort (Seite 4) verwendet.
  • [2] = Gerhard Köbler: Historisches Lexikon der deutschen Länder. Die deutschen Territorien vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 5.Auflage 1995, Seite , Seite 437-438
  • [3] = Zu seiner Peregrination siehe Thomas Freller: Ritter, Dichter, Abenteurer. Ostalbreisende in der Postkutschenzeit, Erfurt 2011, Seite 83-90
  • [4] = Karin Schneider: Die Handschriften der Universitätsbibliothek Augsburg. Die deutschen Handschriften Cod.I.3 und Cod III.1, Wiesbaden 1988, Seite 10-12
  • [5] = Abgedruckt bei Josef v.Fink: Die geöffneten Archive für die Geschichte des Königreichs Bayern, Jahrgang II., Bamberg 1822/23, Seite 271-288
  • [6] = Andreas Kraus (Herausgebender): Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, München 3.Auflage 2001, Seite 538
  • [7] = Nomen Nescio: Lebensbeschreibung im Forst- und Jagdfache verdienter Männer.  Johann Balthasar Meyer, in: Allgemeine Forst- und Jagd-Zeitung Nro.49 vom 24. April 1832, Seite 195
  • [8] = Dom. Mettenleitner (Herausgebender): Orlando di Lasso. Registratur für die Geschichte der Musik in Bayern, Heft 1, Brixen 1861, Seite 32-34
  • [9] = Karin Angelike: Presse, nouvelles à la main und geheime Korrespondenz. Ein französischer Journalist im Rheinland und sein Umgang mit der Zensur, in: Wilhelm Haefs & York-Gothart Mix (Herausgebende): Zensur im Jahrhundert der Aufklärung, Göttingen 2007, Seite 228
  • [10] = Helmut Reinalter (Herausgebender): Lexikon zum aufgeklärten Absolutismus in Europa, Wien & Köln & Weimar 2005, Seite 30
  • [11] = Nomen Nescio: Abel und Wallerstein. Beiträge zur neuesten Geschichte bayerischer Zustände, Stuttgart 1840, Seite 3-5 

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