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Neues zum mecklenburgischen Adel?Rezension zu einer Novität der Stiftung Mecklenburg aus dem Jahre 2012Die einst westdeutsche und 1973 von Heimatfreunden gegründete Stiftung Mecklenburg aus Ratzeburg war 2009, etliche Jahre nach der Wiedervereinigung, das heißt dem Beitritt der DDR zur BRD, nach Schwerin umgezogen. Sie gibt neuerdings die Schriftenreihe „Wissenschaftliche Beiträge“ heraus, in der nunmehr, 2012, der erste Band erschienen ist. Er widmet sich dem Thema „Adel in Mecklenburg“ und seine 16 Beiträge in facettenreicher Bandbreite stammen von einer Tagung, die im Spätherbst 2010 als gemeinsame zweitägige Veranstaltung von der Stiftung Mecklenburg und der Historischen Kommission für Mecklenburg in den Räumen des Justizministeriums zu Schwerin - dem ehemaligen Witwensitz für Herzogin Charlotte Sophie in der Puschkinstraße 19 - stattgefunden hatte. Die dort gehaltenen Vorträge wurden nun, ergänzt um Quellenbelege in den Fußnoten, in einem sehr gefälligen Band, besorgt vom regional in Mecklenburg stark engagierten Rostocker Verlag Hinstorff, publiziert. [1] Mit diesem Band sollte, so der Vorwortbeiträger Henry Tesch, seines Zeichens Vorsitzender der Stiftung Mecklenburg und damals zugleich auch (bis 2011) Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern, erstmals die unübersehbare Fülle der bisher erschienenen Beiträge zur Adelsgeschichte Mecklenburgs zusammengefaßt werden. Allerdings wird die versprochene Bilanzierung des Forschungsstandes in dem Band nicht eingelöst, weil sich, bis auf eine Ausnahme, alle Beiträge mit Spezialthemen befassen, die nichts mit einer Bilanzierung der Forschungsstandes zum Thema zu tun haben. Dazu zählen so verdienstvolle Arbeiten wie die von Kathleen Jandausch über Fideikommisse in Mecklenburg, die in Konkurrenz mit den Lehngütern traten (Seite 171-185), familiengeschichtliche Beiträge zum Geschlecht v.Blixen (Seite 149-170, allerdings nicht Mecklenburg betreffend, sondern Dänemark) [2] oder Sebastian Joosts Untersuchung (Seite 94-106) über Konflikte zwischen der Ritterschaft und dem Herzog Christian Louis I. zu Mecklenburg (1623-1692). Beiträger ist auch der emeritierte Berliner TU-Professor Heinz Reif. Dieser ausgewiesener Kenner der Adelsmaterie in Westfalen (nicht aber in Mecklenburg) hat zwar einen Beitrag verfaßt, der sich mit der Adelsforschung befaßt, geht darin aber auf Mecklenburg nur am Rande ein. Seine lesenswerten Ausführungen sind weitgehend Zusammenfassungen seiner bisherigen verdienstvollen Arbeit im weitgehend national orientierten Projekt „Elitenwandel“. [3] Er zitiert dementsprechend dann immerhin in seinem Beitrag einen einzigen Mecklenburgbezug mit Eckart Conzes Beispielstudie über die Grafen Bernstorff. [4] Jedoch kann man Reif daraus keinen Vorwurf machen, da er in seinem Beitrag auch nie behauptet hat und auch nicht im Titel seines Aufsatzes („Neue Wege der Adelsforschung - Adel im langen 19. und im frühen 20.Jahrhundert“) verlauten läßt, das er etwas mit Mecklenburg zu tun hätte. Die Frage ist allerdings unbeantwortet, wieso solch ein Beitrag in einem Band über den Mecklenburger Adel enthalten ist, wenn doch gar kein inhaltlicher Bezug besteht. Reif mag nun tatsächlich den Großteil der Adelsforschung umrissen haben, doch ist nicht außer Acht zu lassen, daß er beispielsweise sozialpsychologische Methoden in der Historik gänzlich unerwähnt läßt, die im Rahmen der kulturwissenschaftlichen Erweiterung des Faches Geschichte aufgekommen sind. In diesem Beitrag jedenfalls erweist er sich eher als ein Vertreter traditioneller und beschränkter Historik, die wenig Anleihen bei wissenschaftlichen Nachbardisziplinen nimmt. [5] Heike Düselder, ausgewiesene Niedersachenkennerin, was den Adel anlangt, referiert dann in ihrem Beitrag namens „Blaues Blut und bunte Vielfalt - Adelige Lebenswelten in Nordwestdeutschland“ [6] über die Heterogenität der Lebenswirklichkeiten des hannoverschen Adels (Seite 79-89), bevor sie auf den letzten Seiten ihres Beitrages Seite (91-92) den Mecklenburgbezug herstellt. Somit bietet sie leider keinen originären Beitrag zur mecklenburgischen Adelsgeschichte, arbeitet aber sehr wohl Umweltaspekte nach Schütz´scher Manier [7] auf, die sie aber in früheren Publikationen bereits verbreitet hat. [8] Allerdings benutzt Düselder einen Terminus fragwürdiger Art, den sie mit „nordwestdeutschem Adel“ bezeichnet (Seite 79). Darunter versteht sie nur den niedersächsichen bzw. hannoverschen Adel, nicht aber den schleswig-holsteinischen Adel, obwohl dieser auch zum Adel in Nordwestdeutschland zählt. Die Bezeichnung ist daher etwas unspezifisch verwendet worden, da sie anscheinend Schleswig-Holstein mit einzuschließen scheint, in Wirklichkeit dazu aber gar keinen Bezug herstellt. Besser wäre es gewesen, hier von hannoverschem Adel zu sprechen oder von braunschweigischem Adel et cetera. Der Beitrag von Michael Busch dann bringt sehr interessante Details zum bekannten Langermannstreit über dessen Töchtereinschreibung in den Landesklöstern ab dem Jahre 1770, [9] der sich zu einem Staatskonflikt zwischen Ritterschaft und Herzog ausweitete (Seite 107-133) und der schließlich mit einem Sieg der Ritterschaft endete. Es geht dabei um die Frage, ob die Ritterschaft das Privileg besitzen würde, Rezeptionen zur Ergänzung ihrer eigenen Korporation vorzunehmen. Dabei ist auffallend, daß Busch die wesentlichen Unterschiede der ritterschaftlichen Ergänzungspolitik nicht benennen kann: Die Form der Rezeption erwähnt er zwar, mit keinem Wort aber seltsamerweise die der Agnition. Weiter berichtet Busch, es hätte in den Jahren 1700 bis 1767 elf Rezeptionen gegeben. Busch nennt sogar die Namen und Daten aller Fälle und zwar wie folgt (Seite 110, Fußnote 13): 1) Bothmer 1733, 2) Bothmer 1747, 3) Ditmar (das Datum konnte Busch im Original lesen) [10], 4) Dorne 1740, 5) Förstner 1757, 6) Kayserlingk 1755, 7) Mecklenburg 1742, 8) Meerheimb 1727, 9) Wendessen 1754 und 10) Wickede 1702. Diese Angaben müssen berichtigt werden. Erstens handelt es sich hierbei um zehn und nicht um elf Vorgänge. Es waren aber tatsächlich elf Ergänzungen: Bei Busch fehlt die Aufnahme der Gebrüder v.Raven auf dem Landtag von 1757. Zweitens waren von diesen elf Ergänzungen nur neun Rezeptionen und zwei waren Agnitionen (und zwar Forstner und Raven). [11] Bemerkenswert ist ferner der Beitrag von Wolf Karge mit dem Titel „Der Junker in der Karikatur um 1900“ (Seite 134-148) und zwar aus zwei Gründen: Karge hat das Verdienst zu beanspruchen, auf die Satire zur Ritterschaftsthematik im liberalen „Mecklenburgischen Neuen Wochenblatt“ aufmerksam gemacht zu haben, einem wissenschaftlichen Feld, das pressegeschichtlich noch bislang nicht ermittelbar untersucht wurde. Karge zeigt darin die politische Umstrittenheit der landständischen Verfassung und die konservative Weigerung des Adels eine zeitgemäße Konstitution mitzutragen. [12] Das zweite bemerkenswerte Moment an Karges Aufsatz ist jedoch die fehlende Einordung. Weder wird die sozialpsychologische Stereotypforschung berücksichtigt, [13] die die Attribute der Figuren, die den Adel karikieren, benutzten, noch werden Hintergrundinformationen ausreichend herangezogen, um Karikaturen einzuordnen. So gibt der Verfasser zu, daß er zwei Karikaturen nicht verstehen würde (Seite 141). Dazu gehört eine Karikatur, die die Bestrebungen der Ritterschaft geißelte, eine neue Konstitution, die 1908 in Rede stand, zu verhindern. Dabei knackt ein Nußknacker in Ritterrüstung eine Nuß mit der Aufschrift „Verfassung“, hinten am Hebel steht ein Mann, der die Worte spricht: „Nur feste drücken, Exzellenz, dann knackt er sie schon“. Tatsächlich gilt: Wer mit Exzellenz gemeint, ist derzeit noch fraglich. Daß die Ritterschaft aber in Teilen wider eine Konstitution und damit ein Macht-Cutting ihrer Privilegien war, ist bekannt und in der Presse, die Karge selbst untersucht hat, ausreichend thematisiert und dokumentiert worden. [14] Der Kommentar Karges namens „Wieso soll der Ritter die Verfassung knacken, muss man sich da fragen“ ist in einem wissenschaftlichen Aufsatz allerdings ungewöhnlich, trotzdem aber (siehe oben) durchaus erklärlich. Auch eine zweite Karikatur versteht Karge nicht, die er aber, im Gegensatz zu seinen anderen erläuterten Beispielen, deren er glücklicherweise viele gesammelt hat, leider nicht im Gleichdruck bringt. So bleibt seine Unverständnisaussage auch so stehen und kann nicht gelöst werden, was bei einer Abbildung eher der Fall gewesen wäre. Bei einer weiteren Karikatur verortet Karge „einen Berater“ bei einem „Junker“, wobei hier mindestens auch noch die Lesart möglich ist (von ihm aber nicht in Betracht gezogen wurde), daß es sich dabei nicht um einen „Berater“ (welchen Sinn sollte dies haben, da doch der Adel als Korporation selbst Entscheidungen zu treffen in der Lage war keinen Berater bedurfte) handelt (Seite 140), sondern um einen karikierten Adeligen, der an der landständischen Verfassung festhielt - daher auch dessen Kostümierung mit typischen Attributen des XVIII. Centenariums! Karges mangelnde Abgrenzung gegen seinen Untersuchungsgegenstand läßt ihn schließlich sogar selbst Stereotype benutzen, die er doch gerade als Außenstehender analysieren will. So spricht er in einer Karikaturenbeschreibung mit seinen eigenen Worten von einem „Mann mit türkischem Habitus“ (Seite 145 und 148). Zu sehen ist auf der Karikatur lediglich aber ein Mann mit Bart, Fes und drei orientalisch geschwungenen Dolchen, die in einer Leibbinde stecken. Es handelt sich daher nicht um einen Mann mit „türkischem Habitus“ (das wäre ein Vorurteil), sondern eine Figur, die stereotype Bedienungen des zeitgenössischen Türkenbildes aufgreift, welches sich an dem Bartvorbild des 1908 aktiven jungtürkischen Hauptmanns Enver Pascha (1881-1922) orientiert. Die mecklenburgische Karikatur erschien indes am 21. Februar 1909. Wenige Monate zuvor, am 24. Juli 1908, hatte der osmanische Sultan Abdülhamid II., die einst ausgesetzte Verfassung wieder in Kraft setzen müssen. Es sind hier also deutlich Parallelen zur spätosmanischen Historie und Politik erkennbar, [15] die Karge jedoch nicht näher erläutert, sondern vielmehr im Deskriptiven verlaufen läßt. Der Beitrag von Mario Nieman schließlich referiert bereits Altbekanntes: Der Adel in Mecklenburg habe sich der DNVP zugehörig gefühlt, dann teils dem Stahlhelm und der NSDAP zugewandt, aber auch Widerstandskämpfer gestellt (Seite 217-240). Doch obwohl Niemanns Beitrag „Landadel in Mecklenburg 1918 bis 1945“ heißt, wird die Geschichte der Landesabteilung Mecklenburg der Deutschen Adelsgenossenschaft [16] nicht bedacht, an der sich bereits das, was Niemann hier noch einmal bestätigt, gezeigt hat. Diese Erkenntnis ist allerdings auch bereits 15 Jahre alt. [17] Gleichwohl hat aber Niemann einige Untersuchungen angestellt, die hier nicht unerwähnt bleiben sollen: Er hat löblicherweise viele Einzelbeispiele gebracht, um seine Thesen zu untermauern. Zwei weitere Beiträge bringen dann anschließend zwar keine neuen Ergebnisse zu Forschungen, aber sehr hilfreiche Quellenverzeichnisse: Elke Krügener stellt summarisch „Quellen zum mecklenburgischen (Land-) Adel im Landeshauptarchiv Schwerin“ vor (Seite 186-194) und René Wiese widmet sich Hinweisen auf „Quellen zur Geschichte des mecklenburgischen Adels im Bestand Justizkanzleien des Landeshauptarchivs Schwerin“ (Seite 195-199). [18] Insgesamt liegt mit dem Tagungsband ein sehr wertvolles und vielfältiges Beitragskaleidoskop zur mecklenburgischen Adelsgeschichte vor, der hoffentlich weitere Anregungen in ähnlicher Art zeitigen wird. Der Band, dessen Beiträge hier gar nicht alle aufgeführt worden sind, zeigt, daß die Adelsforschung in und über Mecklenburg neue Wege beschreitet, die fernab von Pauschalisierungen stehen, sondern differenzierte Blicke ermöglichen. Aus Renommagegründen wurde wohl abschließend von Wolf Karge und Mathias Rautenberg im Kapitel „Tagungsresümee“ behauptet, es seien mit der Tagung und den Beiträgen „erstmals“ Längsschnitte durch die politischen Positionen des Adels in Mecklenburg bestimmt worden und die Umbrüche, die in der Zeit von 1918 bis 1945 stattgefunden haben, seien ein Desiderat der Forschung (Seite 246). Dies ist natürlich leicht zu behaupten, wenn man bisherige Forschungsergebnisse ausklammert und durch bewußtes oder unbewußtes Agenda-Cutting ignoriert. [19] Jene Behauptungen entsprechen zum Glück jedoch nicht der Realität. Denn so unbeackert, wie der Herausgeber des Bandes das historische Feld in seinem Nachwort dargestellt hat, ist es glücklicherweise - schon seit mehr als einem Jahrzehnt - nicht mehr. Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill und erschien zuerst in der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XV. (2012) Annotationen:
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