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Historische GefühlspolitikVorstellung einer Neuerscheinung des Wallstein-VerlagesDie Begrifflichkeit Gefühlspolitik ist noch so novitär, daß er von Ute Frevert, die ihn erfunden hat, in ihrem neuen Bändchen mit dem Titel Gefühlspolitik. Friedrich II. Als Herr über die Herzen? ausführlich erläutert wird. [1] Ihre populärwissenschaftlich verfaßte Abhandlung befaßt sich mit einer interessanten und auch fast neuen Perspektive auf einen alten Gegenstand und ist ein Beispiel für den cultural turn (sie nennt es zusätzlich emotional turn) in den Geisteswissenschaften, die sich nach und nach dem Trend des XXI. Centenariums nach Globalisierung annähern. Unter Gefühlspolitik versteht die Berliner Historikerin Frevert, die sich bisher und auch aktuell mit der Erforschung von Emotionen in der Geschichte befaßt hat, [2] so beispielsweise unter anderem mit der Kommunikationsform des heute so anachronistisch wirkenden Duells, eine bewußte Benutzung von Gefühlen im Kommunikationsprozeß zwischen Herrschenden und Beherrschten. Sie unterstellt Politikern dabei eine zumeist absichtlich gesteuerte Zurschaustellung wahrer oder auch erdachter Emotionen, die zielunterstützend bei der Herstellung einer affektiven Zustimmungskultur helfen soll. Demnach agieren Politiker und in der Öffentlichkeit stehende Personen nicht nur mit Sachargumenten, sondern setzen auch Gefühle ein, um bei Beherrschten ein zusätzliches Consentio zu erreichen. Inwieweit dies jeweils generalstabsmäßig geplant worden ist oder nicht, kann nicht immer entscheiden werden, zumal nicht mit dem Blick von außen. Es bleibt daher fraglich, inwieweit eine herrschende Person eine aktive Gefühlspolitik betrieb oder aber er oder sie nur einem momentanen Eingebung folgte, wenn Gefühle zum Einsatz kamen. Freverts Buch kann man nun unter unterschiedlichem Vorzeichen lesen: Einmal als Einführung in die Gefühlspolitik, exemplarisch am Gegenstand der historischen Figur Friedrichs des Großen vorgeführt oder auch als kulturwissenschaftliche Untersuchung des Gegenstandes des aufgeklärten Preußenkönigs. Beide Perspektiven werden hier bedient, so daß das Büchlein multifunktional ist und mehrere Zielgruppen anstrebt - und auch in diesem engen Rahmen einer kleinen Analyse auf 151 Seiten nicht enttäuscht. Frevert weist dabei darauf hin, daß Gefühlspolitik an sich nichts Neues ist und schon Aristoteles auf die Rolle der Emotionen in der Politik hinwies. Es nimmt daher auch nicht wunder, daß Frevert sich, wie etliche Philosophen zuvor, auf das Theater bezieht und Parallelen zwischen dieser Kunstform und der Politik zieht: In beiden Fällen geht es um die innerliche Berührung der Rezipienten, also der Zusehenden im Theatersaal und der Beherrschten in einem Staatsgebilde. Beide Darsteller - Schauspieler wie Politiktriebende, wollen beeindrucken und bestimmte Ziele erreichen. Dafür setzten sie auch Emotionen ein und das gilt im besonderen Maße natürlich auch für die Literatur, die Musik und den Film, die allesamt mithilfe nonverbaler Kommunikationsvorgänge Stimmungen schaffen und im besten Falle bei den Rezipierenden hervorrufen können. Allerdings sind die Motive hinter einer aktiven Gefühlspolitik sehr unterschiedlich: Während die Kunst um der emotionalen Regung willen berührt, ist in der Politik eine Machtbestätigung erwünscht und hat wesentlich weitreichendere Auswirkungen. Da Frevert von Haus aus Sozialwissenschaftlerin und Historikern ist, die sich zwar auch dem cultural turn in den Geisteswissenschaften geöffnet hat, jedoch nur in kleinen Schritten, scheut sie sich vor der Verwendung von Erkenntnissen und Ansätzen aus der Sozialpsychologie. Denn auch dort kennt man seit langem den Einsatz von Gefühlen in der Politik unter dem Fachbereichsbegriff der Massenpsychologie, wie sie erstmals in größerem Umgang von Gustave Le Bon systematisch und grundlegend beschrieben worden ist. [3] Denn überall dort, wo Kommunikationsprozesse zwischen Menschen stattfinden, sind sozialpsychologisch erkennbare Grundstrukturen an der Tagesordnung und können außerdem im Bereich der Politik mit dem Schlagwort „Propaganda“ abgedeckt werden. Eine gefühlspolitische Abhandlung dürfte daher gern sowohl sozialwissenschaftliche als auch historische und sozialpsychologische Aspekte enthalten, wenn sie dem cultural turn gerecht werden möchte. Und nicht zuletzt hat sich auch das Fachgebiet der Psychologie der politischen Kommunikation diesem Themenkomplex zugewandt. [4] Dabei müssen freilich massen- von individualpsychologischen Methoden unterschieden werden. Massenpsychologische Mittel zielen immer auf einen Rezipientenkreis ab, individualpsychologische Methoden auf eine Einzelperson. Die Gestaltung und Arrangierung der Abnahme einer Militairrevue durch Friedrich II. oder auch seine Teilnahme an Schlachten war eine massenpsychologische Strategie zur Festigung von Macht, die durch Raumpolitik, Gefühlspolitik und die Zementierung sowie stetige Erneuerung und Aufrechterhaltung von Prestige und Statusunterschieden (z.B. durch Kleidung, Haltung, Ausstattung) durchgeführt wurde. Das Antworten auf eine Supplik dahingegen war ein individualpsychologische Strategie, die nur zwischen den jeweiligen einzelnen Bittstellenden und dem König ausgehandelt wurde. [5] Gleichwohl: Was Frevert präsentiert, ist auch ohne diese Perspektivenvielfalt lesenswert, auch wenn sie bei ihrer Analyse, die eher einem Essay gleicht, unsystematisch vorgeht. Sie erwähnt wohl das eine oder andere Gefühl, nimmt aber nicht die acht Grundgefühle des Menschen (Liebe, Unterwürfigkeit, Ehrfurcht, Enttäuschung, Reue, Verachtung, Wut, Optimismus) [6] durch und orientiert ihre Untersuchung nicht an Häufigkeit und Intensität dieser Gefühlsäußerungen Friedrichs des Großen. Frevert bedient ihr Thema jedoch insgesamt in vier Kapiteln. Das erste Kapitel dient einer Einführung in die Gefühlspolitik und sie benutzt dabei das exemplarische historische Erzählen [7] in Form der modernen Beispiele des Kniefalls von Willy Brandt oder der medial festgehaltenen Träne von Hillary Clinton im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf. Im zweiten Kapitel beschäftigt sie
sich mit der Gefühlserziehung des Jünglings durch den Soldatenkönig
und die von ihm bestallten Erzieher. Das dritte Kapitel zeigt die gefühlspolitischen
Praktiken des Königs in seiner Regierungszeit und das vierte Kapitel
befaßt sich mit der Perspektive der Untertanen.
Die Untertanen dahin gegen hätten, so Frevert, vor allem und im Gegensatz zum britischen und amerikanischen Raum, einem vertikalen Patriotismus gehuldigt, der eine besondere Verbindung zwischen König und Volk ansprach und weniger eine besondere affektive Konnektivität zwischen Staat und Volk. Daher ist es wohl auch erklärlich, daß zwar der König der Auffassung war, man müsse Gefühle bei der Politik außen vor lassen, aber etliche Untertanen dennoch eine emotionale Bindung zu ihrem König fühlten. Der König war indes, nach Frevert, beides: Er war Machthaber und kühl kalkulierender Politiker, besaß aber auch Gefühle, die er nach außen zeigte. Als aufgeklärter Absolutist steht er auf dem Scheidepunkt zwischen väterlicher und vaterländischer Regierung: [9] Er war nicht mehr nur Despot, sondern bisweilen auch verständnisvolle Vaterfigur, wie die Anekdotenbücher, Festgedichte, Ehrenpforten, Festgedichte und andere Gunstbezeugungen der Untertanen zeigen. Freverts Büchlein ist handlich, schön, haptisch und optisch ansprechend, eine Gutenachtlektüre mit populärwissenschaftlicher Orientierung, die durchaus den einen oder anderen neun Aspekt der Persönlichkeit des Preußenkönigs anzusprechen weiß und der niedrige Preis von 16,90 Euro macht das gefällige Bändchen zu einem lesenswerten Begleiter für leichte Stunden, beinhaltet aber auch wertvolle Ansätze, die es wert sind, in anderen Arbeiten fortgesponnen zu werden. Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill und wurde erstmals publiziert in der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XIV. (2011), Folge 68, S.38-42. Annotationen:
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