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Renaissance-Artefakte in Mecklenburg

Vorstellung eines Bildbandes über bauliche Zeugen von 2011

„Basedow, am Malchiner See, in einer der schönsten und reichsten Gegenden des Landes gelegen und sicher über 500 Jahre im ununterbrochenen Besitze der Hahn, ist zu allen Zeiten der Sitz eines reichen Geschlechts gewesen, welches stets die Künste des Friedens geliebt und gepflegt hat, ein Juwel in der Landeskrone. War das Geschlecht der Hahn auch schon in den frühesten Zeiten angesehen und einflussreich, so beginnt sein bedeutender Güterbesitz doch erst mit der folgenreichen Erwerbung von Basedow am 3. Mai 1337. Seit dieser Zeit werden, je nach dem jedesmaligen Bildungszustande der Zeiten, die Verhältnisse zu Basedow ungefähr immer dieselben gewesen sein. Schon am 16. Juni 1474 wird der Wohnsitz der Hahn zu Basedow das Schloss zu Basedow (up dem slate to Basedow) genannt und am 13. Junii 1479 hatte der Ritter Lüdeke Hahn zu Basedow ein Gestüt. Im Jahre 1481 dienten Söhne aus edlen Geschlechtern, z. B. Heinrich Babzin und Claus Barnekow, als Knappen der Hahn auf dem Schlosse Basedow, wahrscheinlich weil diese, z. B. im Jahre 1506, 15 Rossdienste von ihren Gütern zu leisten hatten, am meisten von allen Rittersitzen in Meklenburg.“ [1]

Diese Zeilen, verfaßt zu Beginn des XIX. Centenariums von dem bekannten mecklenburgischen Geschichtsforscher Georg Christian Friedrich Lisch, sprechen von einem heute noch erhaltenen Herrenhaus in Mecklenburg, das alle Zeitläufte überdauert hat und Zeugnis ablegt von der Geschichte der Familie v.Hahn, aber auch von der allgemeinen norddeutschen Adelskultur. Zugleich wird deutlich, was Lisch hier bezweckt: Ihm ist die  Geschichte und auch das Herrenhaus, welches er Schloß nennt,  ein Zeugnis von Ansehen, Ruhm und Renommage, weil er seine Erzählung von Basedow als bereits vor undenklichen Zeiten existent bedschreibt und in Form einer undatierbaren und damit unangreifbaren Gründungserzählung einkleidet. [2] 

Und er wertet das Herrenhaus als materiellen Ausdruck dieser Machtstellung, welches in seine Gegenwart, die der 1840er Jahre, hineinstrahlte, als die Familie v.Hahn tatsächlich noch, anders als heute, auf Basedow lebte. Artefakte der Vergangenheit in Form baulicher Zeugen sind indes nicht nur Zeugnisse einer chronologisch zu begründenden Fremdheit, weil sie einer verflossenen Lebenswelt angehören, sondern auch Mittel zum Zweck der Schaffung von Identität. Über das, was an Bauten in einer Siedlung, einem Dorf, einer Stadt, in einem Lande oder einem Staatsverband vorhanden ist, wird kulturelle Identität definiert und das Selbst geformt. Bauten mit großer und langer historischer Vergangenheit haben daher einen sozialpsychologischen Aspekt: Sie machen das Territorium unverwechselbar zu Anderen, gerade in einer Zeit der Multikulturalität und der Auflösung von Grenzen, geben ein Stück Heimat mit speziellem Charakter und geben dem Landstrich ein einmaliges Profil. 

Zwar bleiben in den meisten Fällen den historischen Gebäude oder materiellen Rudimente anderer Zeiten eine gewisse Fremdheit inne, da sie oft keinen praktischen Zwecken mehr dienen, dennoch aber verbinden sie sich über die gleiche Territorialität mit den gegenwärtig lebenden Bewohnern eines Landes. Die Erhaltung baulicher Zeugen ist aber immer auch ein aktiver Prozeß. Zwar sind Artefakte auf die Gegenwart gekommen, was in dieser Formulierung ein passives Geschehen ohne Zutun impliziert, doch tatsächlich bedarf es immer der Entscheidung lebender Generationen für oder wider ein Artefakt: Alle baulichen Zeugen vergangener Epochen werden stets entweder erhalten, modifiziert, angeeignet, vergessen, vernachlässigt oder zerstört, wobei allerdings nicht immer nur der freie Wille, sondern auch der Verfügungsrahmen über ökonomischen Mittel entscheidend sein kann, beispielsweise wenn die nötigen finanziellen Mittel zur Erhaltung fehlen.

Freilich gab es bisweilen auch Zeiten doppelter Fremdheit, also nicht nur zeitlicher, sondern auch sachlicher Art. Besonders trifft dies auf Mecklenburg-Vorpommern zu, welches von 1945 bis 1990 unter sozialistischer Herrschaft stand und daher auch ideologisch-weltanschaulich bauliche Zeugen nur eingeschränkt als historisch wertvoll erachtete. Die Diversität der Auffassungen wird vor allem deutlich an historischen Bauzeugen des Adels, die in der DDR bisweilen als kunsthistorisch wertvoll galten und bewahrt wurden, bisweilen aber auch nur geduldet, bewußt dem Verfall preisgegeben, umgebaut oder abgetragen und gesprengt worden waren. Auf diese Weise sind viele Bauzeugen des Adels, und dieser war in Frühen Neuzeit häufig als Bauherr fester Bauten tätig, neben den freien Städten, in Mecklenburg der Motor der herausragenden und bleibenden Architektur. 

Das also, was heute, im XXI. Jahrhundert, noch an baulichen Zeugen, hier namentlich der Renaissance, vorhanden ist, ist jetzt in einem Bande von Hillert Ibbecken dokumentiert worden. [3] Der opulent ausgestattete Farbband dokumentiert vorrangig in bildlicher Weise und durchgängig in Farbe die mecklenburgischen Artefakte im Großen (Architektur) wie im Kleinen (baugebundene Kunst),  die aus der Zeit des XV. und XVI. Centenariums auf uns überkommen sind. Dabei wurden die Bilder so angefertigt, daß die nur das Motiv und kein störendes oder ablenkende Beiwerk enthalten; Menschen sind beispielsweise auf den Abkonterfeiungen nicht zu sehen. Die Bandbreite der Vergangenheitszeugen ist in Mecklenburg, wie durch dieses Buch, das ganz verstreut liegende Ansichten in einem Bande versammelt, deutlich wird, immens groß. Sie reicht von Kirchenstuhlwangen (wie in Basse) über Altardetails (wie im Dorf Mecklenburg) und Türeinfassungen (wie in Gadebusch) bis hin zu ganzen Herrenhäusern (wie in Ulrichshusen), städtischen Torhäusern (wie in Rostock) und städtischen Brunnen (wie in Wismar). 

Allein an dieser kleinen Aufzählung ist bereits ablesbar, daß sich Renaissance-Bauten und Renaissance-Kunst vor allem in drei Zuordnungs-Bereichen bis heute erhalten haben: a) Religion, b) Adel und c) Städte, wobei die beiden ersten Gruppen deutlich dominieren. Renaissancekunst ist nach der Architekturpsychologie und -soziologie eine Verzierungskunst, sie diente also vor allem Prestigezwecken und weniger den praktischen Anforderungen. [4] Prestige aber ist fast immer ein Aussagemittel zur Steigerung kulturellen Kapitals von gesellschaftlichen Eliten: Nur diese besaßen die nötigen finanziellen Mittel zur demonstrativen Verschwendung von Ressourcen, um sich damit Ruhm und Ansehen zu erwerben: Wer sichtbarlich Geld vergeuden konnte, gehörte zur Elite und demonstrierte darüber Herrschaft und die scheinbar unendliche Verfügungsgewalt über pekuniäre Mittel. [5] 

Besonders deutlich wird diese ruhmsammelnde Funktion zudem in Bereichen, in denen Religion und Adel zu einer künstlerischen Verbindung reiften: Dementsprechend häufig sind in dem Photoband auch bauliche Zeugen abgebildet, die Fürstenemporen, Epitaphien, Grabdenkmäler, Memorialbildnisse, Altäre, Grabplatten, Orgeln, Kanzeln, Taufbecken et cetera portraitieren. Flankiert wird der Ablichtungsteil des Buches (Seite 64-302) von drei einleitenden Aufsätzen über die Geschichte Mecklenburgs im XVI. Centenarium (Seite 13-24), über die baugebundene Kunst der Renaissance in Mecklenburg (Seite 25-47), in der die einzelnen Bauten auch textlich kurz vorgestellt werden, sowie über die Kunst- und Wissenschaftskultur bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges von 1648 in Mecklenburg (Seite 49-62). Ergänzt wird dies alles mit einem Vorwort über die Aufnahmetechniken (digitale Kleinbildkamera ohne Kunstlicht, denn „zur Entstehungszeit der Objekte gab es das ja auch nicht“) sowie eine Schrifttumsverweisliste (Seite 303-310). 

Als Fazit kann gelten, was der Herausgeber Ibbeken in seinem Vorwort schrieb: Möge der schön anzusehende Band zum Einen das Bewußtsein für die wertvollen Bauzeugen der Renaissance in Mecklenburg wecken und die Kunstschätze preisen, andererseits aber auch den Stand der Erhaltung der mecklenburgischen Renaissancekultur im Jahre 2009/10 visuell dokumentieren sowie zu eigenen kulturellen Streifzügen durch das Land anregen. Insofern hat Kunst auch heute noch einen wichtigen Wert, nicht nur für die Identität der Bewohner, in denen diese Artefakte stehen, sondern auch für den nachhaltigen Tourismus.

Diese Rezenison erschien zuerst in der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung, Jahrgang 2011. Der Rezensent war Claus Heinrich Bill.

Annotationen:

  • [1] = Georg Christian Friedrich Lisch (Herausgebender): Geschichte und Urkunden des Geschlechtes Hahn, Band I., Schwerin 1844, Seite 76
  • [2] = Zur Funktion dieser Naartionen siehe Friedrich Balke: Gründungserzählungen, in: Harun Meye (sic!) &  Leander Scholz (Heraisgebende): Einführung in die Kulturwissenschaft, München 2011, Seite 23-48
  • [3] = Michael Bischoff & Hillert Ibbeken: Renaissance in Mecklenburg, herausgegeben von der Stiftung Mecklenburg, Berliner Wissenschafts-Berlag, mit Beiträgen von Steffen Stuth, Carsten Neumann und Michael Bischoff, gebunden, 311 Seiten, Preis = 49,00 Euro, erschienen in Berlin im Jahre 2011
  • [4] = Vergleiche Peter Richter: Architekturpsychologie. Eine Einführung, 3.Auflage, Lengerich 2009
  • [5] = Siehe dazu immer noch Thorstein Bundle Veblen: Theorie der feinen Leute, Köln 1958

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