Muster zu Steckbriefen aus dem Deutschen Reich
Volltext-Beispiele von Fahndungseinträgen,
Vorladungen und Strafbefehlen (Deutsches Gaunerarchiv)
Steckbriefe aus dem Beginn des 20.Jahrhunderts
nach Verbrechern oder Personen, die Vergehen begangen hatten und damit
in das Fahndungsraster der Ermittlungsbehörden gerieten, sind noch
in einer sehr großen Zahl im Druck erhalten geblieben. Gerade weil
die zugehörigen Akten in aller Regel vernichtet wurden, da sie als
"archivunwürdig" galten - die Akten wurden seitens der Regierung regelmäßig
an meistbeitende Altpapierhändler verkauft - kommt den gedruckt vorliegenden
Steckbriefen, gerichtlichen Vorladungen und Strafbefehlen eine große
historische Bedeutung zu.
Einen solchen Bestand an Steckbriefen möchten
wir an dieser Stelle gern vorstellen. Wie bei allen Massendaten ist es
eine Charakteristik dieser meist in Fraktur gedruckten Quellenart, daß
Steckbriefe und die in ihnen enthaltenen oft sehr wertvollen biographischen
Auskünfte für die familien-, kulturgeschichts- oder ortskundliche
Forschung zwar von Bedeutung sind, aber allein aufgrund ihres unübersichtlichen
und bibliographisch so gut wie nie erschlossenen Auftretens sehr schwer
bis gar nicht zu finden sind. Mit dem folgenden Registerbeitrag nun soll
diesem Mangel Abhilfe geschaffen werden.
Bei der Quellenart handelt es sich um originale
gedruckte Steckbriefe aus dem Gebiet des gesamten Deutschen Reiches nach
authentischen Personen, die flüchtig waren oder deren momentaner Aufenthaltsort
polizeilich oder gerichtlich nicht zu ermitteln war, weil sie wegen verschiedener
Verbrechen oder Vergehen zur Verantwortung gezogen werden sollten.
Der Wert der vorliegenden Edition liegt
darin, daß die preußischen Behörden nicht nur Täter
der Delikte wie Mord, Diebstahl, Unzucht, Unterschlagung, Fahnenflucht,
Betrug oder Hehlerei per Steckbrief verfolgten, sondern auch Strafbefehle
wegen geringerwertiger Vergehen, beispielsweise betreffend den Tatbestand
"Feilbieten von Bonbons in öffentlichen Wirtschaften ohne Gewerbeschein",
das "laute Singen auf der Chaussee", den "Mißbrauch von Kraftdroschkenkennzeichen",
unerlaubtes Auswandern (meist nach Amerika) oder die Schuldklärung
in Ehescheidungen erließen.
Die Quantität und Qualität der
jeweiligen originalen Einträge schwankt stark. Teils sind nur zwei-
bis dreizeilige Ausweisungsbekanntmachungen vorhanden, teils aber wurden
auch Gesuche abgedruckt, die über eine ganze Seite gehende kriminelle
Lebensläufe mit ausführlichen Personenbeschreibungen, Lebensdaten,
Vorstrafenregistern et cetera beinhalten. Dafür stehen folgende Beispieleinträge.
A. Ausweisungsbekanntmachungen
-
"Bekanntmachung Nummer 268. Polizeiliche Angelegenheiten.
Ausgewiesene. A. Aufgrund des § 39 des Strafgesetzbuches: ... 5. Mayer,
Julius, Lithograph, geboren am 19.März 1882 zu Perchtolsdorf, Bezirk
Mödling, Österreich, österreichischer Staatsangehöriger,
bestraft wegen Bettelns, ausgewiesen durch Beschluß des Königlich
Bayerischen Bezirksamtes Berchtesgaden vom 4.November vorigen Jahres ...
Schleswig, den 10.Januar 1902. Der Regierungs-Präsident."
B. Strafbefehle
-
"Bekanntmachung Nummer 3910. Strafbefehl.
An den Musiker Herrn Guisti Michele, zur Zeit unbekannten Aufenthalts,
zuletzt in Altona wohnhaft. Auf den Antrag der Königlichen Staatsanwaltschaft
wird gegen Sie wegen der Beschuldigung, am 24.September vorigen Jahres
zu Altona außerhalb Ihres Wohnortes ohne Begründung einer gewerblichen
Niederlassung und ohne vorgängige Bestellung, in eigener Person Musikaufführungen
feilgeboten zu haben, Vergehen gegen §§ 1, 6, 18 des Gesetzes
vom 3.Juli 1876, wofür als Beweismittel bezeichnet ist: Zeugnis des
Polizeisergeanten Weitendorf, eine Geldstrafe von 24 Mark, und für
den Fall, daß dieselbe nicht beigetrieben werden kann, eine Haftstrafe
von 8 Tagen festgesetzt. Zugleich werden Ihnen die Kosten des Verfahrens
auferlegt. Dieser Strafbefehl wird vollstreckbar, wenn Sie nicht binnen
einer Woche nach der Zustellung bei dem unterzeichneten Gericht schriftlich
oder zu Protokoll des Gerichtsschreibers Einspruch erheben. Die Geldstrafe
und die unten berechneten Kosten sind an die hiesige Gerichtskasse, Allee
125, Zimmer Nummer 23, vormittags 8-1 Uhr, binnen einer Woche nach dem
Eintritt der Vollstreckbarkeit bei Vermeidung der Zwangsvollstreckung zu
zahlen. Bei der Zahlung ist dieser Strafbefehl vorzulegen oder durch Angabe
Ihres Namens und der Geschäftsnummer genau zu bezeichnen. Geschäftsnummer:
4 b C 215/03 (1). Altona, den 3.Juni 1903. Königliches Amtsgericht,
Abteilung 4b. Kostenrechung: Gebühr für den Strafbefehl 2 Mark
0 Pfennige und Schreibgebühr 0 Mark 10 Pfennige, zusamen 2 Mark 10
Pfennige. Ausgefertigt Altona, den 8.Juni 1903. Dreide, Aktuar als Gerichtsschreiber
des Königlichen Amtsgerichts 4b."
C. Vorbeugende Aufsichtsverfügung
-
"Bekanntmachung Nummer 3855. Die verehelichte
Näherin Viktoria Schubert geborene Kwietniewska, geboren in Praga
bei Warschau, 33 Jahre alt, welche durch Urteil der Strafkammer des Königlichen
Amtsgerichts zu Kreuzberg in Oberschlesien vom 29.April 1901 wegen Hehlerei
und Urkundenfälschung zu einer Gefängnisstrafe von 2 Jahren und
2 Monaten, Verlusts der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von
5 Jahren und Zulässigkeit von Polizeiaufsicht verurteilt worden ist,
wird am 30.Juni 1903 diese Strafe verbüßt haben. Ich habe die
Stellung der Viktoria Schubert geborene Kwietniewska unter Polizeiaufsicht
angeordnet und die Dauer derselben auf 5 Jahre festgesetzt. Die Genannte
beabsichtigt, nach der entlassung aus dem Untersuchungsgefängnis sich
zu ihrem in Krakau wohnhaften Ehemanne, von dem sie in den letzten Jahren
getrennt gelebt hatte, zurückzubegeben. Da es nicht ausgeschlossen
ist, daß die Genannte im Inlande ihren Aufenthalt nehmen wird und
den Entlassungsort Krakau nur angegeben hat, um sich der Ausübung
der Polizeiaufsicht zu entziehen, so ersuche ich dieselbe im Ermittlungsfalle
in Kontrolle zu nehmen und hierher Mitteilung zu machen. Schleswig, den
15.Juni 1903. Der Regierungs-Präsident."
D. Steckbriefe
-
"Bekanntmachung Nummer 3864. Gegen den unten
beschriebenen Heizer Ferdinand Schultze, geboren am 3.Juni 1871 in Perleberg,
zuletzt in Sude bei Itzehoe wohnhaft, welcher flüchtig ist respective
sich verborgen hält, ist die Untersuchungshaft wegen vorsätzlicher
Körperverletzung und Bedrohung verhängt . Es wird ersucht, denselben
zu verhaften und in das nächste Gerichtsgefängnis abzuliefern,
sowie zu den hiesigen Akten 2 M Nummer 27/03 sofort Mitteilung zu machen.
Beschreibung. Statur: klein und kräfig. Augen: wahrscheinlich braun.
Nase und Mund: gewöhnlich. Bart: blonder Schnurrbart. Gesichtsfarbe:
gesund. Besondere Kennzeichen: kahler Kopf. Kleidung: hellbrauner Anzug,
schwarzer weicher Hut. Neu-Ruppin, den 16.Juni 1903. Der Königliche
Erste Staatsanwalt."
E. Steckbriefgesuche mit polizeilichem
Erkennungsdienstphoto
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Abbildung:
Dieser Steckbrief mit Portraitbildnis erschien im September des Jahre 1878
und ist ein Beispiel für die Art der Polizeigesuche mit Personenbeschreibung
und kurzer Kriminalitätskarriere, auch wenn Bilder der Gesuchten eher
selten in jener Quellengattung zu finden sind. |
F. Vorladungen
"Beklanntmachung Nummer 3915. Der Militärgestellungspflichtige
Gustav Emil Walter Bölten, geboren am 5.März 1882 in Altdamm,
Kreis Randow, zuletzt in Quickborn, Kreis Pinneberg, wohnhaft, wird beschuldigt,
als Wehrpflichtiger in der Absicht, sich dem Eintritte in den Dienst des
stehenden Heeres oder der Flotte zu entziehen, ohne Erlaubnis das Bundesgebiet
verlassen zu haben und nach erreichtem wehrpflichtigem Alter sich außerhalb
des Bundesgebietes aufzuhalten, Vergehen gegen § 140 Absatz 1 Nummer
1 des Reichs-Strafgesetzbuchs. Derselbe wird auf Donnerstag, den 17.September
1903, vormittags 9 Uhr, vor die 1.Strafkammer des Königlichen Landgerichts
zu Altona, Zimmer 45, zur Hauptverhandlung geladen. Bei unentschuldigtem
Ausbleiben wird derselbe aufgrund der nach § 472 der Strafprozeßordnung
von dem Königlichen Herrn Zivilvorsitzenden der Ersatz-Kommission
des Aushebungsbezirkes des Kreises Randow zu Stettin über die der
Anklage zu Grunde liegenden Tatsachen ausgestellten Erklärung verurteilt
werden. Altona, den 29.Mai 1903. Königliche Staatsanwaltschaft."
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